Im Oktober 2019 hat die Berliner Datenschutzbeauftragte gegen die Deutsche Wohnen SE einen viel beachteten Bußgeldbescheid in Höhe von rund 14,5 Millionen Euro wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) erlassen, welcher vom LG Berlin im Februar 2021 aufgehoben wurde. Die Entscheidung ist hoch umstritten, die Folgen weitreichend; es stellt sich die Frage: Wurde der Bußgeldbescheid zu Recht aufgehoben?
I Worum geht es?
Trotz Aufforderung seitens der Berliner Datenschutzbehörde hatte die Deutsche Wohnen SE es bis März 2019, also neun Monate nach Inkrafttreten der DSGVO, versäumt, die Speicherung, v.a im Archivsystem, von personenbezogenen Daten Somit wurde wegen Verstößen gegen Artikel 25 Absatz 1 DSGVO und Artikel 5 DSGVO der Bußgeldbescheid erlassen.[1] Nachdem die Deutsche Wohnen SE die ihr zustehende Rechtsmittel genutzt hat, also Einspruch eingelegt hat, ist die Sache zur Entscheidung vor dem LG Berlin gelandet.
Das LG Berlin hat mit seiner Entscheidung vom 18.02.2021[2] nun entschieden, dass das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses, namentlich gravierende Mängel des Bußgeldbescheides, einzustellen ist.
Anders, als es auf den ersten Blick scheinen mag, hat die Berliner Datenschutzbeauftragte nicht juristisch unsauber agiert, sondern eine andere Rechtsauffassung als das LG Berlin vertreten, was im Ergebnis für das LG Berlin zu einem ungültigen Bußgeldbescheid führt.
II Was steckt dahinter?
Am Anfang des Problems steht die Frage, ob für das Verhängen eines Bußgeldes nach der DSGVO gegenüber juristischen Personen eine nachgewiesene konkrete Handlung von Organen (Leitungspersonen oder gesetzlichen Vertreter*innen) nachgewiesen werden muss oder nicht.
Die Datenschutzbehörde hatte dies verneint und deswegen auch im Bußgeldbescheid keine Handlung von Organen erwähnt. Das LG Berlin hingegen hatte die Notwendigkeit bejaht, weswegen das Fehlen der Auflistung der konkreten Handlungen von Organen im Bußgeldbescheid zu einem gravierenden Mangel des Bußgeldes geführt habe.
Zu dieser Frage gibt es unterschiedliche Auffassungen, die hier lediglich ganz kurz skizziert werden sollen, für eine Ausführlichere Darstellung sei auf die Links in den Fußnoten verwiesen.
II.1. Eine Sichtweise
Viele Stimmen in der Literatur[3], sowie das Landgericht Bonn[4] halten Unternehmen als direkte Empfänger von Bußgeldern ohne Anknüpfungstat (also dem Zurechnen eines Verhaltens von Organen eines Unternehmens zu diesem) für möglich. Dies wird wie folgt begründet: Die DSGVO regelt in Art. 83 Abs. 4-6 die Adressat*innen von Bußgeldern, Art. 83 Abs. 5 DSGVO spricht explizit von Unternehmen als Bußgeldadressat.
Nach Art. 83 Abs. 8 DSGVO wird für das Bußgeldverfahrensrecht (aufgrund mangelnder europäischer Lösung) auf das nationale Verfahrensrecht verwiesen. Als solches erklärt § 41 Abs. 1 S. 1 BDSG die Regelungen des OWiG sinngemäß für anwendbar.
Nach dem einschlägigen § 30 Abs. 1 OWiG kann ein Unternehmen als juristische Person keine Rechtsverletzung begehen, womit ein Unternehmen nicht automatisch, sondern nur durch Rechtsverstöße von leitungsberechtigten natürlichen Personen, die nach dem Funktionsträgerprinzip dem Unternehmen zugerechnet werden. Im Recht der europäischen Union gilt das Sanktionsrecht der Verbandshaftung, ein Bußgeld und der zu Grunde liegende Verstoß werden hier also unmittelbar an das betreffende Unternehmen geknüpft.
Somit weicht das Prinzip des § 30 Abs. 1 OWiG von dem europäischen Prinzip der Verbandshaftung ab, wenn man es für anwendbar halten würde, könnten die Ziele der DSGVO, eine einheitliche Rechtspraxis sowie unionsweit gleichmäßiges Schutzniveau könnten sonst nicht erreicht werden. „Art. 83 Abs. 8 DS-GVO sei daher als nationale Regelungsbefugnis im Lichte des europarechtlichen Effektivitätsgebots („effet utile“) auszulegen. Auf das nationale Bußgeldverfahren dürfe nur insoweit zurückgegriffen werden, als damit die effektive Durchsetzung und praktische Wirksamkeit der DSGVO gewährleistet bleibe“[5].
Zwischenergebnis: Somit muss nach dieser Ansicht ein Bußgeldbescheid, welcher gegen ein Unternehmen verhängt wird, keine Beschreibung es Fehlverhaltens einzelner Organe enthalten.
II.2. Andere Sichtweise
Das Landgericht Berlin hingegen sieht das anders. Es gibt an, die von der Literatur sowie dem LG Bonn vertretene Sichtweise nicht zu verkennen, sie jedoch abzulehnen. Neben anderen Argumenten[6] ist für das LG Berlin das folgende ein zentrales:
Es hält des § 30 Abs. 1 OWiG weiterhin für anwendbar, da aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 1 S. 1 BDSG, auf den für Verstöße nach Art. 83 Abs. 4 – 6 DSGVO der Art. 83 Abs. 8 DSGVO verweist, nur eine „sinngemäße“ Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vorgesehen ist.
Das LG Berlin argumentiert, dass nach dem Wortlaut keinen Hinweis darauf gegeben sei, dass die die Normen des OWiG eingeschränkt werden sollen. Somit soll der § 30 Abs. 1 OWiG anwendbar bleiben, was zur Folge hat, dass nach dieser Ansicht ein Bußgeldbescheid, welcher gegen ein Unternehmen verhängt wird, eine Beschreibung es Fehlverhaltens einzelner Organe enthalten muss.
III Fazit
Da die Staatsanwaltschaft Berufung gegen die Entscheidung des LG Berlins, den Bußgeldbescheid aufzuheben, eingelegt hat steht noch nicht fest. Das Urteil der nächsten Instanz kann dann mit Spannung erwartet werden, nicht nur mit Blick auf das Bußgeld gegenüber Deutsche Wohnen, sondern vor allem wegen der grundsätzlichen Möglichkeit der Datenschutzbehörden, Bußgelder ohne den mühseligen Nachweis konkreten Organfehlverhaltens zu verhängen. Welche der hier kurz skizzieren Rechtsauffassungen sich durchsetzen wird, wird sich dann zeigen.
[1] Für die ausführlichen Gründe siehe Pressemitteilung zum Bußgeldbescheid.
[2] LG Berlin Beschl. v. 18.2.2021 – (526 OWi LG) 212 Js-OWi 1/20 (1/20), BeckRS 2021, 2985.
[3] Siehe etwa Zahar Qasim in ZD-Aktuell 2021, 05102 oder BeckOK DatenschutzR/Brodowski/Nowak, § 41 BDSG Rn. 11.
[4] LG Bonn Urt. v. 11.11.2020 – 29 OWi 430 Js-OWi 366/20, BeckRS 2020, 35663.
[5] Zahar Qasim in ZD-Aktuell 2021, 05102
[6] Zur ausführlichen Argumentation siehe Rn 15 ff. des Urteils.
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