Der Europäische Haftbefehl

Der Europäische Haftbefehl wurde eingeführt, um die Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden in der EU zu vereinfachen. Früher musste für solche Fälle ein kompliziertes Auslieferungsverfahren angestrebt werden. Nun kann ein Europäischer Haftbefehl ausgestellt und mit Behörden der anderen Mitgliedsstaaten schnell geteilt werden. Dieser Haftbefehl kann ausgestellt werden, wenn jemand eine Tat begangen hat, für die mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe droht, oder wenn jemand schon für mindestens vier Monate Freiheitsstrafe verurteilt ist und diese Strafe vollstreckt werden soll. Der Haftbefehl muss gem. § 83a IRG Angaben zur Identität des Verfolgten, Anschrift der ausstellenden Justizbehörde und Art der Straftat mit Umständen und Folgen, sowie der zu erwartenden Höchststrafe enthalten.

Das Problem

In Deutschland hat bis jetzt die Staatsanwaltschaft Europäische Haftbefehle ausgestellt. Das ist an sich gängige Praxis. Andere Staaten wie Österreich oder die meisten osteuropäischen Staaten regeln das auch so. Einen anderen Weg wählen z.B. Spanien oder Frankreich, bei denen ein Ermittlungsrichter zuständig für den Haftbefehl ist. Deutschland hat aber im Vergleich zu anderen Staaten hat, bei denen auch die Staatsanwaltschaft Europäische Haftbefehle ausstellt, ein Problem: § 146 GVG. Dieser besagt: Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen. Gem. § 147 GVG sind die Vorgesetzten der jeweiligen Landesjustizverwaltungen die Vorgesetzten der Beamten der Staatsanwaltschaft dieses Landes. Somit besteht eine Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Justizministerium, wodurch die Gewaltenteilung unterbrochen wird. Es besteht somit die Möglichkeit politischer Einflussnahme im Justizsystem.

Urteil des EuGH

Deshalb entschied die Große Kammer des EuGH am 27.05.2019 (EU:C:2019:456), dass die deutsche Staatsanwaltschaft keine „ausstellende Justizbehörde“ i.S.d. Art. 6 Abs. 1 des EU-Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl (2002/584/JI) sein darf. Dabei erkennt der EuGH an, dass zwar offensichtlich rechtswidrige Weisungen durch den Justizminister nicht befolgt werden müssten, allerdings geht das nicht aus § 146 GVG vor, der erstmal ein uneingeschränktes Weisungsrecht einräumt.[1] Insbesondere wenn Weisungen lediglich mündlich erfolgen können, kann nicht mehr auf die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft vertraut werden.[2] Weil also die deutsche Staatsanwaltschaft politisch beeinflusst werden könnte, darf sie keine Europäischen Haftbefehle mehr ausstellen.

Praxis

Okay, das Urteil könnte man nun als „pedantisch“ und „kleinkariert“ beschreiben, weil sich Juristen wieder um Dinge streiten, die in der realen Praxis doch sowieso keine Rolle spielen. Dazu ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Vor kurzem war Bundestagswahl 2021 mit der CDU und SPD als größte Parteien. Ein Streitthema war unter anderem die Cum-Ex-Affäre und die Rolle des Kanzlerkandidaten der SPD dabei. Der frühere Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, der als einflussreiches SPD-Mitglied gilt, sollte dabei auch in die Affäre verwickelt gewesen sein. Deshalb ermittelte die Kölner Staatsanwaltschaft gegen ihn. Dabei war der Anfangsverdacht jedoch so gering, dass die Ermittlungen eigentlich eingestellt werden sollten.[3] Erst auf Bitte durch das CDU-geführte Justizministerium in NRW sei der Fall weiterverfolgt und Kahrs Wohnung durchsucht worden. „Das Ministerium habe dafür eine „unmissverständliche“ Anweisung ausgesprochen, hieß es.“[4]

Ob diese Anweisung letztendlich ein Diffamierungsversuch der CDU im engen Wahlkampf oder nur gründliche Ermittlungsarbeit war, kann hier hintenanstehen. Fakt ist, dass diese Situation die vom EuGH beschriebene Problematik aufzeigt. Mit einer vollständig unabhängigen Staatsanwaltschaft würde es diese Diskussionen und Zweifel nicht geben.

Lösungen

Für das Problem des Europäischen Haftbefehls könnte z.B. statt der Staatsanwaltschaft der Richter, der auch den nationalen (Untersuchungs-)Haftbefehl ausstellt, den Europäischen Haftbefehl mitbeantragen. Dazu bräuchte es „nur“ eine gesetzliche Ausgestaltung. Eine andere Möglichkeit wäre es, den § 146 GVG abzuschaffen und damit die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft aufzulösen. Im Endergebnis könnte Deutschland zwar Europäische Haftbefehle ausstellen, wenn der Gesetzgeber hier tätig werden würde.

 

 

[1] Urteil vom 27.05.2012, C-508/18, EU:C:2019:456, Rn. 79, 81

[2] Urteil vom 27.05.2012, C-508/18, EU:C:2019:456, Rn. 82

[3] https://www.kreiszeitung.de/politik/krumme-geschaefte-razzia-bei-spd-politiker-johannes-kahrs-91019320.html

[4] https://www.kreiszeitung.de/politik/krumme-geschaefte-razzia-bei-spd-politiker-johannes-kahrs-91019320.html